China ist auf dem Weg zur wirtschaftlichen Weltmacht Nummer eins und bereit, dafür keine Kompromisse einzugehen, schon gar nicht in Umweltfragen. Bei den globalen CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen steht das Land mit großem Abstand an der Spitze. Ständig neue Kohlekraftwerke und Dutzende von Flughafen-Neubauten werden immer wieder als Paradebeispiele herangezogen, um das rücksichtslose Verhalten der Chinesen gegenüber der Umwelt anzuprangern. Gleichzeitig dient hierzulande die Einhaltung überbordender Umweltverordnungen als beliebte Entschuldigung dafür, nicht konkurrenzfähig sein zu können.
Das mag für viele Wirtschaftsbereiche sogar zutreffen, die sich gerade sehr schwer damit tun, mit Herausforderungen wie den strengen Ökorichtlinien und Energiewendefolgen zurechtzukommen – bis hin zu unserer ausufernden Bürokratie.
Dass die chinesische Realität bei genauerem Hinsehen aber auch ganz anders aussehen kann, beschreibt ein Bericht des World Economic Forums (WEF) mit der Überschrift „Lehren aus der Sicht eines Vorreiters des Klimawandels“. Wie kommt das WEF zu dieser für viele überraschenden Einschätzung?
Was macht China richtig?
Um den Klimawandel zu stoppen und die weltweiten Emissionen zu verringern, bedarf es enormer Finanzmittel: China will bis 2050 rund 26 Milliarden US-Dollar für grüne Investitionen bereitstellen. Der 14. Fünfjahresplan sieht voraussichtlich sechs Billionen US-Dollar vor zur Bekämpfung der Klimawandelfolgen – vor allem für die digitale Wirtschaft. China, das eine dermaßen zentrale Rolle in der Weltwirtschaft spielt, scheint bereits ernsthaft dabei zu sein, die mit dem Klimawandel verbundenen Aufgaben durch eine Vielzahl innovativer Finanzierungsmechanismen zu unterstützen.
Im Mittelpunkt stehen solche, die eine „grüne Beschaffung“ von Waren und Dienstleistungen fördern und nur minimale negative Auswirkungen auf die Umwelt haben. Um Chancen für grüne Technologien zu schaffen, hat die MYbank, eine von Alibaba inkubierte technologie-orientierte Internetbank, eine spezielle Finanzierungsplattform für 6,23 Millionen Kleinst- und Kleinunternehmen geschaffen. Sie bietet grüne oder „nachhaltigkeitsgebundene“ Kredite für innovative Produkte an. Ziel ist die Dekarbonisierung der industriellen Wertschöpfungskette.
Going Green fängt auch im Kleinen an
Schon Ende Dezember 2022 bot MYbank 420.000 Kleinst- und Kleinunternehmen Vorzugszinsen auf Kredite an, um deren grüne Entwicklung zu fördern, und stellte ihnen gleichzeitig leicht zugängliche inklusive Finanzdienstleistungen zur Verfügung. China setzt damit auf langfristige Perspektiven, sodass die dortige Wirtschaft sich gut aufgestellt zeigt, kohlenstoffarme Technologien bereitzustellen und auszubauen – und letztlich auch Innovationsketten in Schwellen- und Entwicklungsländern zu fördern.
„Typische Produktbereiche in China sind auch der grüne Aktienmarkt, um die Verifizierungs- oder Anmeldeverfahren für Börsengänge grüner Unternehmen zu vereinfachen und grüne Kanalmechanismen für grüne Unternehmen einzurichten“, wie es im WEF-Bericht weiter heißt. Damit hat China eindeutig begonnen, mit innovativen grünen Finanzprodukten und mit kommerziell tragfähigen Technologien klare Zeichen auch für veränderte Anlegerpräferenzen zu setzen. Der auch dort wahrgenommene Veränderungsdruck ist gewaltig, aus dem neue Märkte und Geschäftsmodelle entstehen werden. Die deutsche Vorreiterrolle in Sachen grüner Umbau der Wirtschaft scheint damit doch etwas relativiert. Nicht nur der Verlust der Führerschaft in der Solartechnologie sollte deutschen Unternehmen ein Warnzeichen dafür sein, dass wir auch in vielen anderen Bereichen schnell überholt werden könnten.