Mentale Erschöpfung

Ge­ra­de wäh­rend der Hoch­pha­sen der Co­ro­na-Pan­de­mie ein Pro­blem, unter dem sehr viele Men­schen lit­ten – und das an­ge­sichts wei­ter be­stehen­der und wenig er­freu­li­cher Ent­wick­lun­gen wohl fort­dau­ern dürf­te. Als Aus­lö­ser tau­gen das nach wie vor mun­te­re Fort­le­ben der Co­ro­na­va­ri­an­ten, die all­ge­mein be­sorg­nis­er­re­gen­de wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung bis hin zu den welt­weit ra­sant zu­neh­men­den und lei­der ver­mehrt krie­ge­risch aus­ge­tra­ge­nen po­li­ti­schen Kri­sen.

Viele Men­schen haben manch­mal das Ge­fühl, men­tal er­schöpft zu sein, füh­len sich en­er­gie­los, aus­ge­laugt und kön­nen sich auf nichts mehr kon­zen­trie­ren. Das viel zi­tier­te Phä­no­men „news fa­ti­gue“ leis­tet hier si­cher einen zu­sätz­li­chen Bei­trag: dass wir das, was wir all­täg­lich in den Me­di­en an schlech­ten Nach­rich­ten kon­su­mie­ren, gar nicht mehr men­tal „ver­dau­en“ kön­nen.

Ist Mul­ti­tas­king ein Aus­lö­ser?
Es gibt in­zwi­schen zahl­rei­che Stu­di­en, die be­le­gen, dass die­ses Nicht­ver­ar­bei­ten auch eine Folge des weit­ver­brei­te­ten Mul­ti­tas­king-Ver­hal­tens ist, das von vie­len mehr oder we­ni­ger be­wusst prak­ti­ziert wird. Also das gleich­zei­ti­ge Be­die­nen ver­schie­de­ner Me­di­en wie fern­se­hen und dabei am PC ar­bei­ten oder auf dem Smart­pho­ne her­um­wi­schen.

Bei ein­fa­chen au­to­ma­ti­sier­ten Hand­lun­gen wie etwa Bü­geln oder Fit­ness­übun­gen kann man sich schon ein­mal par­al­lel einem Hör­buch wid­men. Doch bei kom­ple­xe­ren Auf­ga­ben, die Kon­zen­tra­ti­on und un­ge­teil­te Auf­merk­sam­keit er­for­dern, ge­lingt dies nicht mehr – je­den­falls nicht mehr ef­fek­tiv. In einer Multi-Screen-Um­ge­bung hin- und her­zu­wech­seln oder eine Split-Screen-Funk­ti­on zu nut­zen, wie etwa einen Li­ve­ti­cker ver­fol­gen, wäh­rend auf der an­de­ren Bild­schirm­hälf­te eine Excel-Ta­bel­le zu be­ar­bei­ten ist, über­las­tet die Auf­nah­me­fä­hig­keit un­se­res Ge­hirns.

Unser Ge­hirn ist keine Ma­schi­ne
„Mul­ti­tas­king ist ko­gni­tiv nicht mög­lich“, sagte der Neu­ro­wis­sen­schaft­ler Hen­ning Beck vor ei­ni­gen Mo­na­ten im In­ter­view mit dem SZ-Ma­ga­zin. Und er rät des­halb davon ab, dies etwa als Fä­hig­keit im Le­bens­lauf an­zu­ge­ben. „Zwei Auf­ga­ben gleich­zei­tig zu ma­chen, funk­tio­niert nicht. Es ist wie bei der Er­näh­rung. Wenn man ein Hirn per­ma­nent füt­tert, muss es ir­gend­wann ver­dau­en, es ent­steht ein Ge­fühl, dass die Zeit zu rasen scheint. Ein Ge­fühl von Ver­gess­lich­keit, dass man nur schwer das Wich­ti­ge vom Un­wich­ti­gen un­ter­schei­den kann, von einer per­ma­nen­ten Ab­ge­lenkt­heit.“

Dazu lie­fert Beck wei­te­re in­ter­es­san­te As­pek­te: „Das Ge­hirn ist wie die Nie­ren ein Organ, das immer gleich stark durch­blu­tet wird. Also egal, ob ich jetzt los­ren­ne und sprin­ge oder schwie­ri­ge Re­chen­auf­ga­ben löse oder ein­fach schla­fe. Der Stoff­wech­sel ist na­he­zu gleich, also bio­che­misch auf dem­sel­ben en­er­ge­ti­schen Ni­veau. Bei stun­den­lan­ger, kom­ple­xer Denk­ar­beit sam­meln sich aber Stoff­wech­sel­pro­duk­te im Ge­hirn an, und das Gleich­ge­wicht der Bo­ten­stof­fe gerät aus den Fugen. Wir sind geis­tig müde, das spü­ren wir fast kör­per­lich.“

Zum einen nimmt die Auf­merk­sam­keits­span­ne ab, so­dass man sich immer noch schlech­ter kon­zen­trie­ren kann. Und dar­aus ent­steht ein Über­las­tungs- und Ab­ge­schla­gen­heits­ge­fühl: die men­ta­le Er­schöp­fung. Doch wie ist dem ent­ge­gen­zu­wir­ken, wie kann un­se­re men­ta­le Stär­ke und Kon­zen­tra­ti­ons­fä­hig­keit po­si­tiv be­ein­flusst wer­den?

Mach mal Pause
Der wich­tigs­te Rat des Neu­ro­wis­sen­schaft­lers Beck ist ganz ein­fach. „Das Ge­hirn hat – wie alle bio­lo­gi­schen Sys­te­me, ob Mus­kel oder Zim­mer­pflan­ze – Pha­sen, in denen es ge­stresst, also ge­for­dert wird, wenn es Auf­ga­ben be­kommt, und Pha­sen, in denen es das ver­ar­bei­ten muss. Wenn ich in einer Pause, also in der Ver­ar­bei­tungs­pha­se, eine neue Auf­ga­be er­fül­le und wie­der neuen Input be­kom­me, wer­den die be­reits kon­su­mier­ten In­for­ma­tio­nen vom Ge­hirn ver­drängt.“

Des­halb sind Pau­sen wich­tig, denn sie ge­hö­ren damit auch zum ak­ti­ven Teil der Ar­beit. Nur in Ru­he­pha­sen wer­den Sin­nes­rei­ze wie­der auf­ge­ru­fen und ver­stärkt, wird Wich­ti­ges von Un­wich­ti­gem ge­trennt. Für das Ver­hält­nis von Ar­beits­zeit und Pau­sen zu­ein­an­der soll­te die Faust­re­gel „fünf zu eins“ gel­ten, also 50 Mi­nu­ten ar­bei­ten, zehn Mi­nu­ten Pause.

Dabei ist nicht nur ab­so­lu­te Ruhe oder gar Schlaf als Pause zu ver­ste­hen, auch Rou­ti­ne­tä­tig­kei­ten wie Du­schen, Spa­zier­gän­ge und selbst Gar­ten­ar­beit eig­nen sich bes­tens. Es geht nur darum, sich für kurze Zeit etwas an­de­rem zu wid­men, wie ein­fach dem Be­trach­ten einer schö­nen Land­schaft, oder ein paar Mi­nu­ten Lieb­lings­mu­sik zu hören und die Ge­dan­ken schwei­fen zu las­sen.

Bleib mal off­line
Eben­so wich­tig ist laut Hen­ning Beck auch eine Er­kennt­nis aus der Krea­ti­vi­täts­for­schung, die be­legt, dass Men­schen oft bes­se­re Ein­fäl­le haben, wenn sie al­lein sind. Denn dann sind auch Hirn­area­le aktiv, die sonst im All­tag „weg­op­ti­miert“ wer­den, aber in Al­lein­si­tua­tio­nen wie­der­um als po­si­ti­ve Im­puls­ge­ber wir­ken kön­nen. Dazu ge­hört un­be­dingt auch die Ab­we­sen­heit jeg­li­cher Er­reich­bar­keit: kein Te­le­fon, kein PC – also den „En­co­ding Ef­fect“ zu nut­zen.

Sogar ein aus­ge­schal­te­tes Smart­pho­ne auf dem Tisch führt laut Beck nach­weis­lich dazu, „dass Men­schen sich schlech­ter kon­zen­trie­ren kön­nen, weil ein Teil der ko­gni­ti­ven Kraft dar­auf ver­wen­det wird, was mit dem Smart­pho­ne pas­sie­ren könn­te“. An jedem Tag eine ge­wis­se Zeit ohne di­gi­ta­les Gerät ein­zu­pla­nen ist des­halb si­cher nicht die schlech­tes­te Me­tho­de, um einer men­ta­len Er­schöp­fung vor­zu­beu­gen.

Totale Erschöpfung im Job